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Predigten zum Neuen Testament
44. JG. 2010/2011
DIE LESEPREDIGT
1. Sonntag nach dem Christfest
02.01.2011
Der
Gerettete ist unser Retter
Text: Mt 2,13-18(19-23)
I. Eine schreckliche Geschichte für den 1. Sonntag nach dem
Weihnachtsfest. Das ist wirklich keine frohe Weihnachtsgeschichte, sondern
vielmehr eine Anti-Geschichte zur Weihnacht. Eine Geschichte von Bedrohung
und Machtmissbrauch, von Mord.
Sie handelt von einem Mann, der etwas darstellen will. Er ist
machthungrig. Er reagiert empfindlich, wenn er den Eindruck gewinnt, dass
ihm jemand seinen Einfluss streitig machen will. Und er hat Angst. Kein
sehr ungewöhnlicher Mensch, möchte man meinen. Solche Menschen gibt es in
großer Zahl – in jeder Schulklasse, in jedem Betrieb, ja vielleicht in
jeder Familie, in jedem von uns am Ende? Den meisten von uns dürfte es ganz
gut gelingen, unser privates Geltungsbedürfnis, unseren privaten
Machthunger einigermaßen einzudämmen, so dass das Miteinanderleben
überhaupt möglich wird. Diesem Mann in unserer Geschichte fällt dies nicht
so leicht, vielleicht, deshalb, weil er etwas zu verlieren hat. Er ist
König, sein Name ist Herodes. Es liegt nicht lange zurück, da hatte er
merkwürdigen Besuch. Drei Männer aus dem Orient wenden sich an ihn auf
ihrer Suche nach einem neuen Herrscher. Sie sprechen von einem neugeborenen
Kind, dem zukünftigen Regenten. Und sie meinen es ernst. Deshalb ist sein
erster Gedanke, als ihm seine Lage klar wird: „Potentielle Konkurrenten
muss man ausschalten – und zwar bevor sie Unheil anrichten können.“ Die
Idee des Königs ist, sich die drei Sucher zunutze zu machen. Nach außen hin
will er ihre Suche unterstützen, sobald sie aber gefunden hätten, sollen
sie ihm als Informanten dienen. Sein heimlicher Plan: „Dann töte ich das
Kind, bevor es zu spät ist.“ Als die drei nicht zu ihm zurückkehren, wird
ihm klar, dass sie misstrauisch geworden sein mussten. Und auch in ihm
steigt Misstrauen auf – und aufwallende Angst. – Potentielle Konkurrenten
ausschalten. Außer der Angst ist da ein unbändiger Zorn, betrogen worden zu
sein und womöglich in Zukunft um seine Rechte betrogen zu werden. Alle
Mittel sind ihm recht in seiner Angst um sicher selbst und seinen Einfluss.
Er greift zu einem furchtbaren Mittel: alle neugeboren Kinder in Bethlehem
müssen sterben. Nur so meint er sicher zu gehen.
- Da versucht jemand Weihnachten zu verhindern, nachträglich, und
unglaublich furchtbar, auf geradezu satanische Weise. Er kommt zu spät,
aber er schlägt dennoch teuflisch zu und reißt viele Unschuldige mit in den
Strudel. Die Handlung eines Menschen, der ausrastet, wenn er seine
Autorität und seine Position infrage gestellt sieht. Kurzsichtig, vor
Selbstsucht und Machthunger blind. Die Überreaktion eines Unverständigen.
Mit fatalen Folgen für unschuldige Kinder.
II. Eine Gegengeschichte zur Weihnachtsfreude. Wie kann man jubeln
über die Geburt des Heilands angesichts des sinnlosen Sterbens von Kindern?
Wie können wir heute, dieses Jahr, feiern, wo an vielen Orten in der Welt
Kinder Fruchtbares erleiden und geschändet und ermordet werden? Und wie
können wir bei dieser Geschichte aufschreien, ohne uns das gegenwärtige Leiden
von Kindern zu Herzen zu nehmen?
Fragen, die etwas Quälendes haben und die uns irgendwie hilflos
machen.
Wenn sich der gesammelte Vernichtungswille des König
Herodes gegen Jesus richtet, sollte man meinen, Jesus ist so gut wie
verloren. Aber: ein rettender Engel spricht zu Josef im Traum und Jesus
kann auf wunderbare Weise gerettet werden. Maria und Josef fliehen mit ihm
nach Ägypten. Wo sind heute die rettenden Engel, die sich der verlorenen,
leidenden und gefährdeten Kinder annehmen?
III. Der Evangelist Matthäus hat als einziger diese Geschichte in
seinem Evangelium überliefert. Sicherlich ist sie erzählt worden, bevor er
sie aufschrieb. Und sie hat bei den Zuhörern dasselbe Entsetzen ausgelöst
wie bei uns. Denjenigen Hörern, die mit den Erzählungen des Alten
Testaments vertraut waren, kamen aber auch sofort Assoziationen. Sie
fühlten sich erinnert an eine andere Geschichte, in der davon erzählt wird,
wie unschuldige Kinder ihr Leben lassen mussten, weil ein Herrscher einen
Gegner ausschalten wollte. Auch in dieser anderen Geschichte kommt der
Gejagte aber mit dem Leben davon. Sie erinnern sich sicher an die
Geschichte von Mose, der auf wundersame Weise in einem Binsenkörbchen vor
dem ägyptischen Pharao gerettet wurde? Für die Hörer der Geschichte von Jesu
wundersamer Rettung vor Herodes war völlig klar, dass hier ein innerer
Zusammenhang bestehen muss. Wie Mose gerettet wurde und dann das Volk
Israel aus der ägyptischen Sklaverei befreite, so muss es auch mit dem
geretteten Jesus eine besondere Bewandtnis haben. In all dem Schrecklichen
geschieht etwas Wunderbares. Und dieses Wunderbare deutet auf die
wunderbare Rolle hin, die dem kleinen Jesuskind zugedacht ist. Er, der so wunderbar Gerettete, ist der Retter der
verlorenen Welt, einer Welt, die Gott verloren hat.
Das ist der Grund, warum diese Geschichte unsere frohen
Weihnachtslieder doch nicht zum Verstummen bringen kann und darf. Ganz im
Gegenteil. Trotz des quälenden und erschütternden Tuns des Herodes darf und
soll die Freude über die Geburt Jesu, des verheißenen Retters, andauern.
IV. Die Geschichte kann uns aufwecken aus unserem süßen, nach Mandel
duftendem, Weihnachtshimmel, der unser Bewusstsein einlullt durch Stimmung,
Geschenke und gutes Essen. Sie soll
uns erschüttern.
Weihnachten wurde nicht erst durch den Kindermord von Bethlehem
bedroht. Von Anfang an ist die Weihnachtsgeschichte eine Geschichte der
Bedrohung. Die Schwangerschaft von Maria ist gefährdet durch eine
schwierige Reise. Die Geburt des Kindes entbehrt aller Sicherheit, ein kalter,
stinkender Stall, unhygienisch, unromantisch – schmerzvolle Geburt ohne
Hilfe. Eine verzweifelte Mutter und ein nicht minder verzweifelter Vater
erleben sich als solche, die keiner will. Schon vor seiner Geburt ist Jesus
von der feindlichen Außenwelt bedroht. Von Anfang an, schon vor seiner
Geburt, ist Jesus ungelitten. Der versprochene
Retter scheint von Anfang an ein Verlorener zu sein. Allerdings: in unserem Bild von Weihnachten kommt
von der Bedrohung des Jesuskindes normalerweise kaum etwas vor. Der
Geburtsort Jesu wird romantisch verklärt. Ein gemütlicher Heuschuppen, warm
und hell, mit feinem Geruch nach frischem Stroh. Wir denken uns gleich den
Kerzenduft dazu, vielleicht noch Bratäpfel. – Und der unbeschreibliche
Jubel der Engel, die in diesem Stall singen, macht aus einem zugigen kalten
Loch in unserer eigenen Empfindung einen Gottesdienst in einer festlich
geschmückten warmen Kirche. Jeder hat einen Sitzplatz. – Die Erwartung im
Blick auf Weihnachten ist groß. Nicht nur bei den Kindern. Alle wollen wir
bereitwillig mitgerissen werden von der kollektiven Stimmung. Wir wollen
ein romantisches Weihnachtsfest. Auf eine realistische Sicht von
Weihnachten können wir gut verzichten. Es war nämlich kalt und der
Glorienschein fehlte.
Unser frohes Weihnachtslieder-Singen – wie kann man das in diesem
Zusammenhang verstehen? Als ein „Trotzdem“? Als ein Jubeln derer, die
entdecken, dass das bedrohte Kind – ohne jede Romantik – dennoch der
verheißene Messias ist, unter Umständen, die an sich nicht gerade Anlass
zur Freude gäben.
Die bedrohlichen Lebensumstände setzen sich über diesen Lebensbeginn
hinaus fort. Später werden es andere sein, die in Jesus eine Gefährdung
sehen – eine Gefährdung ihrer religiösen Autorität etwa. Der erwachsene
Jesus macht ihnen allen auf revolutionäre Weise die Autorität streitig. Sie
alle sehen in ihrer menschlich-geschichtlichen Befangenheit nicht, dass es
Jesus um weit Größeres als um weltliche und religiöse Autorität geht. Er
muss aus ihrer Sicht mundtot gemacht werden, ausgeschaltet. Sie wollen ihn
los sein. Und so wird Jesus letztlich am Kreuz sterben. Der, der als Retter
gekommen sein will, ist nun endgültig verloren, meinen seine Gegner. Aber
auch hier wird sich auf wunderbare Weise zeigen, dass es nicht möglich ist,
ihn auszuschalten. Im Gegenteil: der scheinbar Verlorene wird von den Toten
auferweckt und ist so endgültig zum Retter geworden. Und wieder ist die
Reaktion auf die Bedrohung – nach dem ersten Erschrecken - der Jubel. So schließt sich der Bogen vom
Weihnachts- zum Oster, zum Auferstehungsjubel.
Dieser Bogen wird auch in vielen Weihnachtsliedern geschlagen.
V. Einen letzten Gedanken möchte ich noch anfügen.
Die Versuche, Jesus auszuschalten, ihn los zu werden, haben in unserer
Welt und Zeit nicht aufgehört. Sie sind nur anders geworden. Nicht
brachiale Gewalt der Herrschenden und Bedeutenden, sondern Gleichgültigkeit
oder Verharmlosung fallen heute besonders auf. Wie leicht ist es,
Weihnachten zu verharmlosen und Jesus nur noch als glatte geschnitzte
Krippenfigur zu betrachten, als Bestandteil des weihnachtlichen
Konsumrausches, als Stimmungsmacher. So wie man auf einer guten Party
jemanden braucht, der für die Stimmung sorgt, so braucht man Jesus zu
Weihnachten. Nicht mehr und nicht weniger. Es wird kaum mehr in Betracht
gezogen, dass Jesus einer ist, der die Menschen infrage stellen könnte:
ihren Machthunger, ihren Lebensstil oder ihre religiösen Überzeugungen. Wir
haben Jesus auf Weihnachten und vielleicht noch auf Ostern beschränkt in
unserem Leben – und ihn damit in seinem Anspruch auf unser ganzes Leben
ausgeschaltet. In ein paar Tagen räumen wir Weihnachtsbaum und Krippe
wieder weg. Das war’s dann. Das war’s dann? Hoffentlich nicht!
Ich wünsche uns allen, das das „Trotzdem“
des Weihnachtsjubels eine prägende Kraft für unser alltägliches Leben
entwickelt.
Ich wünsche uns, dass die Weihnachtsfreude über die Geburt des
Retters uns weiterbegleitet und in uns immer wieder aufklingt, wie die
frohen Weihnachtslieder, die wird singen. Amen.
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