Service
|
Predigten zum Neuen Testament
48. JG. 2014/2015
DIE LESEPREDIGT
2. Sonntag im Advent
07.12.2014
Zukunftserwartung
Text: Lk 21,25-33
1. Mitten in der Adventszeit befassen wir uns mit dem Ende der Welt.
Passt das zusammen? Wir wollen die Ankunft Jesu feiern: den Neuanfang, den
Gott mit seiner Welt macht. Neubeginn, neues Leben, Licht in der Finsternis,
Gott mitten unter den Menschen. Jedes Jahr im Advent warten wir auf die
Ankunft Jesu, obwohl wir bereits wissen: er ist gekommen. Wir kennen sie
schon, die Geschichte von dem kleinen Kind, in dem Gott Mensch wird; von
dem Mann Jesus, der in seinem Leben, seinem Reden und Handeln sichtbar
macht, wie sich Gottes Gegenwart und Gottes Herrschaft in unserer Welt
ereignet. Von der Krippe zum Kreuz führt sein Weg, und zur Auferweckung von
den Toten.
Damit sind mehrere Stichworte genannt, die unseren Predigttext
interessant machen gerade für die Adventszeit – eine Zeit der Erwartung.
Advent heißt Ankunft. Der Predigttext spricht von einem zweiten Advent,
einer weiteren Ankunft – von der Wiederkunft Jesu. Er wendet sich in die
Zukunft, in die Zukunft Gottes mit seinen Menschen, mit seiner Welt.
2. Es liegt noch nicht lange zurück, dass die Zukunft die Menschen
in unserer Gesellschaft mehr beschäftigte als heute. In den 80erJahre hatte
das Schlagwort „No future“ Konjunktur. Zum ersten Mal nach einigen
Jahrzehnten des Aufschwungs ging es in einer deutlichen Kurve nach unten.
Arbeit wurde knapp, junge Menschen fürchteten um ihre Zukunftschancen,
machten sich Sorgen um eine gute Ausbildung oder um einen Arbeitsplatz. Ein
harter Konkurrenzkampf, viele wurden entmutigt und verloren die Energie.
Manche verweigerten sich dem Zukunftskampf. Die Älteren nannten diese
Jungen „Null-Bock-Generation“.
In dieser Zeit gab es aber auch ein breites und starkes Engagement
für die Zukunft: nicht nur die des Arbeitsmarktes. Vielen Menschen wurde
verstärkt bewusst, dass sie Verantwortung trugen für die Zukunft der
nächsten Generationen, und dass es notwendig war, sich für den Schutz der
Umwelt und für Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd einzusetzen. Der
Ökumenische Rat der Kirchen lenkte die Aufmerksamkeit auf den sogenannten
Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der
Schöpfung.
Heute scheint in Deutschland die Beschäftigung mit der Zukunft
offenbar nicht mehr so vordringlich und allesbestimmend. In anderen Ländern
blicken Menschen allerdings mit viel mehr Sorgen in die Zukunft – denken
wir an Griechenland, oder an die vielen Krisenregionen in unserer Welt.
Wir hingegen beschäftigen uns mit der Gegenwart. Das Jetzt ist der
neue Trend. Die Ratgeberliteratur, viele Angebote der Lebensberatung,
Coachings und Psychologen wollen den Menschen helfen, das Leben zu
bewältigen und zwar nicht in der Zukunft, sondern jetzt, heute, … Das große
Thema für Menschen, die wach und aufmerksam durch das Leben gehen möchten,
ist: „Achtsamkeit“. Dieses Konzept stammt zwar aus dem Buddhismus, aber es
findet generell bei spirituellen Menschen, auch bei Christen, Anklang.
Achtsam mit dem umgehen, was Gott den Menschen anvertraut hat, mit der
Umwelt, der Zeit, mit den anderen Menschen – jeden Tag, jede Minute als
Gabe und als Aufgabe Gottes betrachten. In dieser Weise lässt sich
„Achtsamkeit“ gut mit Grundhaltungen des Christentums verbinden. Leben im
Hier und Jetzt. Gott im Alltag entdecken, in den kleinen Dingen des Lebens.
Das sind auch zentrale Themen von Predigt und Seelsorge geworden. Es ist
eine wichtige Frage, wie Menschen die Gegenwart Gottes heute erfahren
können. Wir Menschen der Postmoderne glauben nicht mehr einfach, was uns
gesagt wird. Und wir lassen uns nicht vertrösten. Wir wollen Gott
begreifen, erfahren und erkennen. Und zwar jetzt. Und je mehr wir uns
darauf konzentrieren, desto weniger spielt das eine Rolle, was über den
Moment und über die nächste Lebensspanne hinausgeht. Die Zukunft wir
ausgeblendet, vergessen. Diese Art von Zukunftsvergessenheit passt zu einer
Zukunftsvergessenheit im umfassenderen Sinn. Wenn wir überhaupt an die
Zukunft denken, dann maximal an die, die vom Ende unseres Lebens begrenzt
wird. Wenn es hoch kommt, denken wir eine oder zwei Generationen weiter.
Nur wenigen kommt in den Sinn, was den biblischen Texten völlig
selbstverständlich ist: dass es eine Dimension des Lebens gibt, die über
unsere menschliche Existenz zwischen Geburt und Tod hinausgeht. Ja, eine
Dimension, die Zeit und Raum übersteigt, und für die die Bezeichnung
„Ewigkeit“ zutrifft. - Nach einer langen Zeit der Jenseitsvertröstung haben
viele Kirche und Christen den Gedanken eines Jenseits und die Vorstellung
von Ewigkeit weitgehend ausgeblendet.
3. Auch die Vorstellung von einem konkreten Ende der Weltzeit, von
einem letzten Gericht oder Ähnlichem ist aus dem religiösen Repertoire der
Volkskirchen in Deutschland zumeist verschwunden. Dafür eignen sich diese
Themen hervorragend für Kino und Fernsehen. Schauen Sie einmal die Fernseh-
und Kinoprogramme von drei oder vier Wochen durch. Mit Sicherheit finden
Sie ein Dutzend oder mehr Katastrophenthriller, Endzeitfilme und
Zukunftsvisionen in Form von Science Fiction. Meistens geht es um den
ultimativen und letzten Kampf zwischen Gut und Böse. Immer wieder haben
Apokalypsen Konjunktur – zuletzt aufgrund der falsch verstandenen
Maya-Prophezeiungen von 2012.
Immer wieder sind es kleinere Gruppen, in denen die Vorstellung von
der Endzeit an Bedeutung gewinnt. Im 19. Jahrhundert beispielsweise waren
einige Gruppen überzeugt davon, dass es in absehbarer Zeit zum Zeitenende
kommen würde. Dies führte zur Entstehung von christlichen Freikirchen und
Sondergemeinschaften wie etwa der Siebenten-Tags-Adventisten oder auch der
Zeugen Jehovas. Leben im Angesicht des nahenden Endes, - damit war die
Erwartung der Wiederkunft Christi verbunden. Es ging darum, vorbereitet zu
sein, die Dinge zu ordnen.
Dass Christus wieder kommen wird, bekennen wir jeden Sonntag im
Glaubensbekenntnis. Die Schriften des neuen Testaments zeigen, dass die
Christen der ersten Generation überzeugt waren, dass die Abwesenheit
Christi nach der Himmelfahrt nur von kurzer Dauer sein sollte. Sie
erwarteten ihn noch während ihrer Lebzeiten zurück und hegten die
Zuversicht, dass damit das Reich Gottes zur Vollendung kommen sollte:
Gerechtigkeit, Liebe und Friede würden endlich über Hass, Gewalt und
Ungerechtigkeit siegen. Doch dieses Ereignis blieb aus. Wie sehr dies die
Gemeinden verunsicherte, kann man sich leicht vorstellen. Sie befanden sich
ja ohnehin in einer Phase des Umbruchs. Sie hatten sich neu orientiert,
einen neuen Glauben angenommen. Das bedeutete, dass sie auch einen neuen
Platz in ihrer Gesellschaft finden mussten, und dies alles in einer Zeit,
in der die politischen und gesellschaftlichen Umstände die jungen Gemeinden
vor Schwierigkeiten stellten. Die Zukunft sah ziemlich düster aus. Dies
ließ es umso dringender erscheinen, dass Jesus zurückkehrte. Von ihm
erwarteten sie, dass er die Dinge zurechtsetzen würde und für letzte Gerechtigkeit
im letzten Gericht sorgen würde. In den Evangelien - auch in unserem
Predigttext - lassen sich dieses Erfahrungen und Sehnsüchte der Christen
erkennen. Und die Antworten, die Jesus selbst darauf gibt. Jesus setzt in
der sogenannten Endzeitrede ein mit Weltuntergangsstimmung: Menschen in Not
und auf der Flucht, Kriege und Zerstörung, alle Anzeichen mahnen zu Furcht,
schüren die Angst. Selbst die Naturgewalten sind außer Tritt geraten. Die
Menschen werden mutlos und verlieren die Perspektive. Blick gesenkt,
verbohrt in die eigenen Probleme, die eigenen Sorgen, - das Kaninchen
starrt auf die Schlange. Alles, was sie sehen und erleben, bestätigt die
düstere Stimmung.
Das aber ist nicht das Letzte – macht Jesus deutlich. In der Mitte
der Nacht liegt der Anfang des neuen Tages. Es gilt, den Blick zu heben,
und auf den zu blicken, von dem Erlösung Befreiung und Zukunft ausgehen.
Diesen Blick kennen wir als Christen – es ist der Blick auf Jesus Christus,
den Gekreuzigten, der am dunkelsten Punkt, am Kreuz zugleich der
allergrößte Hoffnungsgeber ist. Er hat den Tod überwunden, und er lebt. Der
Gekreuzigte und Auferstandene ist auch der, der kommen wird. Seht auf und erhebt eure Häupter, weil
sich eure Erlösung naht. Richtet euch auf, hebt den Kopf. Eure Rettung
ist unterwegs. Die gebeugten Schultern müssen die Last der Zukunft nicht
allein tragen. Menschen, die den Blick heben, aufrecht und offen durch das
Leben gehen, müssen sich nicht schrecken lassen von der Dunkelheit, die sie
sehen, denn sie sehen auch das Licht, die Hoffnung, die Perspektive.
4. Kopf hoch – Schultern aufrichten, und dann ist alles gut. Ganz so
simpel ist es nicht. Nicht körperliche Übungen schaffen den
Perspektivwechsel zur Zukunft, sondern eine komplette Haltungsänderung.
Innerlich wie äußerlich.
Wie richten wir uns ein in unserem Leben, in unserer Welt? Wonach
richten wir uns? Mit welchen Perspektiven gehen wir in die Zukunft Gottes?
Und von welcher Zukunft her leben wir im Jetzt?
Wenn wir von der Zukunft Gottes her denken, dann ist es die Vision
letzter Gerechtigkeit, die unser Handeln und Denken bestimmt. Wir können
dann Ungerechtigkeit nicht auf sich beruhen lassen. Es ist die Vision
davon, dass im Reich Gottes jeder Mensch seinen Platz hat. Wir können dann
nicht akzeptieren, dass Millionen von Menschen keine Heimat haben und auf
der Flucht sind. Es ist die Vision einer Welt, in der Menschen respektvoll
mit Gottes Gaben umgehen: mit der Natur ebenso wie mit den Geschöpfen. Wir
können dann nicht gut heißen, wenn Tiere gequält werden, die Natur
geschändet und die Menschen in ihrer Würde missachtet werden. Es ist eine
Vision, die sich nicht mit Vertröstungen abspeisen lässt, sondern die uns
Menschen dazu bringt, aktiv daran mitzuarbeiten, dass Gottes Liebe in
unserer Welt erfahrbar ist.
Wir leben zwar in einer Welt, in der es Dunkelheit, Mutlosigkeit und
Kälte gibt, doch selbst in dieser Welt gibt es Zeichen, die uns in der
Gewissheit bestärken, dass Gott seine Welt nicht alleine gelassen hat. -
Ein Feigenbaum bekommt Blätter und zeigt damit an, dass der Sommer kommt.
Die Welt bleibt nicht erstarrt im eisigen Umgriff von Sorgen, Angst und
Kriegen. Die Zukunft ist nicht dunkel und kalt. Es gibt sie nämlich, die
Anzeichen von neuem Leben, - Knospen und erste Blätter eines Feigenbaums.
Das Reich Gottes ist nahe. Eines dieser Zeichen ist die jährliche
Adventszeit.
Selbst im Winter der Welt ist der Sommer nah. Diese Zukunftshoffnung
hängt nicht von der Konjunktur ab. Sie gründet in der adventlichen
Erwartung auf den, der kommt, um die Welt zu erlösen. Und sie baut auf die
Auferstehungshoffnung. Tod und Finsternis haben nicht das letzte Wort,
sondern das Leben, das Gott schenkt.
Amen
|