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Predigten zum Neuen Testament
38. JG. 2004/2005
DIE LESEPREDIGT
Sexagesimae
30.1.2005
Ganz von
selbst wächst Gottes Reich
Text: Mk 4,26-29
Eine Saat geht auf, - wenn man sie lässt. Mit diesem automatischen
Geschehen sind wir tagaus tagein konfrontiert. Die Saat der Angst geht auf.
Ausländische Nachbarn werden zu Verdächtigen, besonders wenn sie muslimischen
Glaubensrichtungen angehören. Kollegen werden zu Konkurrenten, wenn die
Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes nicht nachlässt. Die „Reichen“
werden zu Feinden der weniger Wohlhabenden, weil sie besser wegkommen im
allgemeinen Sozialabbau. Und die Sozialhilfeempfänger bedrohen scheinbar
alle, die noch etwas besser dastehen.
Die Saat der Gewalt geht auf in den Schulen. So kann man immer
wieder in den Zeitungen lesen. Schüler bringen Waffen mit und erpressen
Klassenkameraden und bedrohen Lehrer und Lehrerinnen.
Das ist eine unheimliche Saat. Erstaunlicherweise scheint sie auf
fruchtbaren Boden zu fallen. Ein Dickicht, ein Gestrüpp wuchert hier, das
alles freundliche oder gar liebevolle Miteinander zu ersticken droht.
Von der Saat, die mit dem Reich Gottes im Gleichnis verglichen wird,
ist dagegen nur schwerlich etwas zu entdecken.
Wäre es nicht besser gewesen, der Landwirt, der sie ausgesät hat,
hätte sich nicht ruhig zu Bett begeben, und hätte seine Saat dem Lauf der
Dinge überlassen? Würden wir dann nicht mehr von Gottes Wirken, vom Reich
Gottes in unserer Welt erkennen können? War es genug, nur zu säen?
Studentinnen und Studenten verschiedener Fachrichtungen haben dieses
Gleichnis vom Reich Gottes gehört und spontan kommentiert. Ein 25jähriger
Wirtschaftsstudent erklärte: „Für mich heißt das, dass ich eine Art
Verantwortung hab’, wenn ich zum Beispiel sehe, dass ein Freund von mir
Fehler macht. Dann muss ich ihn nämlich darauf aufmerksam machen, dass es
so nicht geht. Aber ich kann mich nicht hinter ihn stellen und dirigieren.
Und genau schauen, dass er nun alles richtig macht. Er muss es selbst
machen. Und ich kann vielleicht nicht mal zuschauen. Er hat die Freiheit
auf mich zu hören, oder auch nicht. So wie dieser Bauer, der den Samen
ausstreut, und dann legt er sich ins Bett. – Ich würde mir auch so eine
Gelassenheit wünschen. Verantwortung und Gelassenheit.“
Der Mensch, den das Gleichnis schildert ist bewundernswert. Er hat
eine geradezu göttliche Ruhe. Er sät aus und nachdem er getan hat, was seine
Aufgabe war, legt er sich schlafen und steht auf; ohne jede Panik und
Hektik. Es wird werden, was da wächst. Er beobachtet es unaufgeregt. Und
tatsächlich die Saat geht auf. Sie braucht ihre Zeit, da können Bauer oder
Bäuerin nichts daran ändern. Natürlich müssen die notwendigen Handgriffe
gemacht werden. Aber sich mehr als notwendig um die Saat unter der Erde zu
kümmern wäre geradezu kontraproduktiv. Ist die Saat erst einmal
ausgebracht, würde es alles zerstören, was im Dunkeln der Erde geschieht,
wenn der Landwirt jeden zweiten Tag den Samen wieder ausgraben würde, um
nachzusehen, ob er schon austreibt. Bei Kindern im Kindergarten kann das
schon mal passieren, dass sie zu neugierig sind und die Erde wegkratzen, um
nachzuschauen, was aus ihrem Samen geworden ist. Wer zu ungeduldig ist,
zerstört mehr, als er zum wachsen helfen kann. So viel Geduld ist nötig.
Tage, Wochen oder gar Monate verrinnen, ehe etwas geschieht.
Es ist gar nicht so einfach etwas aus der Hand zu geben und dann nur
warten und beobachten zu können. Wird alles werden wie gewünscht und
erhofft? Eltern erleben das, wenn ihre Kinder langsam erwachsen werden. Sie
müssen sie loslassen, in der Hoffnung und dem Vertrauen, dass sie selbst
zur Entfaltung kommen. Jeder weiß, dass solches Loslassen nötig ist, damit
sich Neues entwickeln kann. Doch es gibt eine seltsame Tendenz in uns
Menschen festzuhalten. Der Landwirt im Gleichnis streut großzügig den Samen
aus. Er gibt großzügig aus der Hand. Damit ist das Seine getan. Von nun an
wächst etwas – von selbst, ohne dass er weiter darauf Einfluss nimmt –
„automatisch“, wie es im griechischen Text heißt. Die Saat geht auf unter
Gottes Himmel.
Das ist nicht der schnelle Aktivismus unserer Zeit, in dem Reform
auf Reform folgt, aber nichts sich entfalten kann. Auch nicht die Hektik,
in der wir Menschen versuchen, möglichst viel „mitzunehmen“. Allerdings
auch nicht die Lethargie, die manche Zeitgenossen befallen hat, weil sie
das Gefühl haben, es verändere sich sowieso nichts. Und so haben sie
aufgegeben, erwarten nichts mehr ...
Das Verhalten des Bauern im Gleichnis entspricht einer „Tugend des
Hinnehmens“, eines aktiven Entgegennehmens dessen, was uns geschenkt ist.
Wir staunen, dass etwas wächst, im Verborgenen, ohne unser Zutun.
Gleichnisse reizen uns dazu, sie zu lösen wie wir Gleichungen
lösen. Wir suchen nach Entsprechungen, um den Sinn zu verstehen: Wer ist
der Sämann, wer der Samen, was bedeutet die Sichel ...?
Wenn man aber versucht, die Gleichnisse Wort für Wort zu übersetzen,
merkt man schnell, dass nicht alles aufgeht.
Es ist dann wie bei so manchen Übersetzungen von Anweisungen zu
technischen Geräten. Sie wurden Wort für Wort übersetzt, aber heraus kam
ein ziemliches Kauderwelsch, das einen vor noch größere Rätsel stellt. Man
muss die Denkwelt kennen, aus der heraus man übersetzt, die Grammatik des
Lebens – mehr noch: den Geist ...
Wovon spricht das Gleichnis von der Saat, die von selbst wächst? Es
ist ein Gleichnis für das Reich Gottes. Das Reich Gottes ist der Bereich,
in dem Gott seinen Einfluss ausübt und in dem er anerkannt und geehrt wird.
Als Jesus seinen Jüngern das Gleichnis erzählt, steht er selbst als
Repräsentant des Reiches Gottes vor ihnen. Er ist selbst der Same, der über
die Welt ausgestreut wird. Zugleich ist er der Sämann, der aussät. Er sät
das Wort Gottes in Wort und Taten. Als lebendiges Wort Gottes bringt er die
Saat aus, die den Menschen als Botschaft der Liebe Gottes ins Herz gelegt
werden und dort zur Entfaltung kommen soll.
Seinen Zuhörern mag es unwahrscheinlich vorgekommen sein, dass die
Art und Weise, wie Jesus Gottes Saat ausbrachte, tatsächlich zum Ziel
führte. Sie fragten sich, wo denn das verheißene Reich Gottes sei. Es sei nahe
herbeigekommen, ja, mitten unter euch, hörten sie von Jesus.
Aber die äußeren Umstände ließen davon wenig erkennen: politisch erlebten
sie das Römische Reich, nicht das Reich Gottes. Religiös spürten sie die
Ablehnung, auf die Jesus vor allem bei den einflussreichen religiösen
Anführern stieß. Wo ist es denn nun das Reich Gottes? Noch viel stärker
bedrängte sie diese Frage in den Tagen der Kreuzigung Jesu und später, als
sie auf Jesus Wiederkunft warteten und die junge Gemeinde sich immer wieder
in bedrängenden Situationen vorfand. Ist die Saat denn wirklich
aufgegangen? War es genug, nur zu säen?
Aus dem Gleichnis hörten sie die Ermutigung, darauf zu vertrauen,
dass Gott gerade im Verborgenen wirkt. Die Saat ist ausgebracht und sie
wird zum Erstaunen vieler aufgehen. Wir wissen nicht, wie das geschehen
kann. Jesu Leben, Sterben und Auferstehen sind ein eigenes Gleichnis dafür:
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es
allein. Wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht, - so sagt es
der Evangelist Johannes. Die Verwandlung vollzieht sich unsichtbar, bis das
Neue erkennbar wird. Jesus durchschreitet das Dunkel des Todes, wie ein
Same, der in den Boden gelegt wird. Die Verwandlung geschieht im
Verborgenen. Jesus steht auf zu neuem Leben.
Wo Menschen die Nähe des lebendigen Gottes suchen, wo Gott geliebt,
gelobt und anerkannt wird, da ist es schon da, das Reich Gottes. In aller
Unvollkommenheit, aber die Ernte, die Vollendung wird kommen,
unausweichlich. Niemand kann es verhindern, doch wir brauchen Geduld, es zu
erwarten.
Das Reich Gottes wächst von selbst. Was haben wir dann damit zu tun?
Nichts weiter, als dass wir Jesu Botschaft wie eine Saat in unser Leben, in
unser Herz fallen lassen, und sie dort nicht am Aufgehen hindern. Sie nicht
ersticken in den Alltäglichkeiten, sondern ihr Raum zum Wachsen lassen.
Wenn sich in uns entfalten kann, was Gott in uns hineingelegt hat, dann
wächst zugleich das Reich Gottes. Wir können es staunend wahrnehmen und
Gott dafür danken.
Amen.
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