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Predigten zum Neuen Testament
43. JG. 2009/2010
DIE LESEPREDIGT
8. Sonntag nach Trinitatis
15.7.2010
Kinder
des Lichts
Text: Eph 5,8b-14
I. Wer bin ich? Ja, wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Was
hat mich geprägt und was wird mich prägen? Von Zeit zu Zeit kehrt diese
Frage im Leben eines erwachsenen Menschen wieder, manchmal staunend und
überrascht, wenn sich unverhofft Erfolg eingestellt hat, manchmal quälend
und belastend.
Kinder haben es nicht nötig, so zu fragen. Sie sind einfach da. Sie
leben unmittelbar. Es reicht, zu einer Familie zu gehören – oder zumindest
zu einer Mama oder einem Papa, vielleicht zu Geschwistern und Großeltern.
Es ist für die Kinder ganz klar und einfach, sich von diesen herzuleiten.
„Aber mein Papa hat gesagt ...“ – so ein Ausspruch ist ein Signal für diese
Art von kindlicher Genügsamkeit. Ein Kind weiß sich zuhause bei den Eltern.
Selbst wenn diese sich nicht sehr fürsorglich benehmen, wenn sie ihr Kind
schlagen oder seelisch misshandeln. Das Verhältnis der Zugehörigkeit ist
ungebrochen – der Papa ist eben der Papa – und ein Kind versteht sich als
Kind seiner Eltern. Ohne dass ein Kind darüber nachdenkt, erhalten die
Eltern einen 100-prozentigen Vertrauensvorschuss. „Papa, ich springe“ –
ruft der kleine Junge und wirft sich unversehens von der Mauer in die Tiefe
– und Papa oder Mama sind da, zitternd vor Schreck vielleicht, und fangen
ihn auf.
Was die Eltern ihnen vorführen, findet sich bei den Kindern wieder.
Im Kindergarten oder in der Grundschule kann man manchmal aus dem Mund
eines Kindes die Eltern sprechen hören – Tonfall und Wortschatz perfekt
getroffen. Genauso ist es mit den Verhaltensweisen – was sie sehen, ahmen
sie nach, ohne viel darüber nachzudenken. So werden – etwas vereinfacht
dargestellt – die Handlungsmöglichkeiten und die Wertemodelle der Kinder
geformt. Kinder lernen durch das Zusammen-Sein mit ihren Bezugspersonen.
Die Eltern als Primär-Bezugspersonen haben damit eine kaum zu
unterschätzende Verantwortung.
II. Kinder des Lichts nennt unser Predigttext die Gemeindeglieder in
Ephesus. Sie sind Gottes Kinder, von Gott geliebt, der seine Liebe durch
Jesus Christus den Menschen gezeigt hat.
In dem kindlichen Vertrauen zu ihrem himmlischen Vater sollen sie
ihr Leben gestalten. Und wie das geht, lernen sie durch Nachahmung, wie
Kinder eben lernen. Folgt nun Gottes
Beispiel als die geliebten Kinder (Eph 5,1).
Dieses kindliche Zutrauen zu Gott und zu seinen Weisungen prägt das
Verhältnis der Christen zu ihrem himmlischen Vater. Und es trägt sie in
ihrem Leben. Sie lernen, indem sie auf Jesus Christus blicken und sein
Leben und seine Verkündigung zum leuchtenden Vorbild nehmen
„Kinder des Lichts“ lassen sich nicht einfach von allem anziehen,
was glänzt. Denn sie wissen, wo die Quelle des Lichtes zu finden ist: bei
Jesus Christus, dem Licht der Welt.
Es gibt ja Vieles, was glänzend lockt. Eine ganze Welt voll Glitzer
und Glamour. Wer Kinder beobachtet, sieht die Anziehungskraft von
glitzernden Dingen, von Stickern und Glitzer-Malstiften auf die Mädchen.
Und Jungen bekommen leuchtende Augen in der Regel bei Gameboys und
technischem Spielzeug. Erwachsene umschwärmen wie Motten, die vom Licht
angezogen werden, ihre Stars – ihre leuchtenden Sterne; Männer wie Frauen.
Sie wollen Anteil an der leuchtenden Welt haben, etwas erleben. Selbst im
Lichtkreis von Anerkennung und Bewunderung stehen. Nicht im Schatten verschwinden.
III. Das verbindet uns heute mit den Menschen damals in Ephesus. Es
ist ein Grundbedürfnis: dabei sein im Licht. Gesehen werden. Anerkennung
finden. Damit das gelingt, tun wir Menschen manchmal die verrücktesten
Sachen – und oft gar nicht das, was wir eigentlich wollen. Wir geben mehr
Geld aus, als wir haben. Wir machen uns auf Kosten anderer wichtig, lügen
und verdrehen die Wahrheit, - und werden doch nicht glücklich dabei. Aber
das Bedürfnis, mit im Licht zu stehen, treibt uns an und macht uns
richtiggehend blind. Blind für das wahre Licht. Wir blicken auf die großen
beleuchteten Showbühnen des Lebens. Nicht alles, was glänzt ist Gold, sagt
ein Sprichwort. Das klingt vertraut ... aber ist vergessen, sobald der
Erfolg oder das große Geld blinken. Bei der großen Finanzkrise seit 2008,
die sich so fatal ausgewirkt hat, war das doch genau der Auslöser: Geldgier
traf auf leuchtende Versprechungen, spiegelte blendende Aussichten vor.
Aber es war nicht Gold, das glänzte, sondern entpuppte sich als Fata
Morgana der Versuchung.
Prüft und deckt
auf, was nur vordergründig glänzt und in Wirklichkeit zu den
unfruchtbaren Werken der Finsternis gehört. Lass dir keine falschen
Tatsachen vorspiegeln, lass dir nichts vormachen. So fordert der
Predigttext auf. Prüft, was dem Herrn
wohlgefällig ist.
Die Prüfkriterien werden gleich mitgeliefert: Die Frucht des Lichtes ist lauter Güte und Gerechtigkeit und
Wahrheit. Das Licht bringt Dinge hervor, die diesen drei Kriterien
entsprechen: Güte, Gerechtigkeit,
Wahrheit.
Hätten wir in die Finanzkrise schlittern können, wenn sie zur
Anwendung gekommen wären? Wenn alle – d.h. die, die falsche Versprechungen
gemacht haben, wie auch die, die sich blenden ließen, gefragt hätten: Kann
das denn mit rechten Dingen zugehen, kann das denn gerecht sein, wenn überdimensionale Profite versprochen werden?
Wenn schon die erste Kriterienfrage bedenklich
stimmt, dann ist Vorsicht geboten. Dann müsste der Verdacht aufkommen: das
Licht, das hier so anziehend ist, ist nichts weiter als Glitzer und
Glamour, und wird nicht halten, was es verspricht.
Wir können das für die verschiedensten Lebensbereiche durchspielen –
für den Umgang mit dem Geld, für den Umgang mit den Beziehungen in denen
wir leben, für den Umgang mit der Macht. Und wir können dabei auf den
individuellen Bereich unseres Handelns ebenso blicken wie auf die großen
Dimensionen in Politik und Gesellschaft.
- Ist etwas gut bzw. gütig, das
heißt von einem gütigen Herzen getragen?
- Ist es gerecht?
- Ist es wahr, entspricht es der
Wahrheit?
Sich an diesen Fragen zu orientieren und das eigene Denken und
Handeln daran zu prüfen, ist uns als Christen aufgetragen.
IV. Von Beginn der Christenheit an gab es Menschen, die Jesus wie
die Jünger nachfolgten, ihre Familien, ihre Berufe aufgaben und alles
zurück ließen, um sich ganz auf ihre Berufung konzentrieren zu können. An
dieser Lebensform orientierten sich später Wanderprediger, „Aussteiger“ wie
Franz von Assisi und Ordensleute. Sie folgten dabei den sogenannten
evangelischen Räten – also Ratschlägen aus den Evangelien, die die
vollkommene Nachfolge Jesu Christi ermöglichen sollten. In den
Ordensgelübden sind diese evangelischen Räte erhalten: Es ging um ein Leben
in Freiheit, komplett ungebunden.
Keine Bindung an Geld und Besitz – das Armutsgelübde.
Keine Bindung an einen anderen Menschen, wenn die treue
Verantwortungsübernahme das Engagement in der Nachfolge Jesu beeinträchtigt
hätte – das Keuschheitsgelübde
oder auch das Gelübde der Ehelosigkeit.
Und es ging um eine einzige Bindung, die die Freiheit der Nachfolge
ermöglicht: die Bindung an Gott selbst in Unterordnung und Gehorsam – das Gehorsamsgelübde.
Die Frage ist sicherlich berechtigt, ob diese Ratschläge nur
umsetzbar sind von wenigen Menschen, die alles verlassen können, um frei zu
sein für einen besonderen Auftrag Gottes. Oder können auch die, die mitten
in Beruf und Familie stehen ein konsequentes Leben in der Jesusnachfolge
führen? In den Ratschlägen werden ja wesentliche Bereiche des Lebens
angesprochen, die für jeden Christen eine Rolle spielen. Sie eignen
sich – wenngleich mit
Einschränkungen – für alle.
Sie regen an zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld und mit
Besitz. Das beginnt mit so einfachen und zugleich schwierigen Fragen wie:
Was kaufe ich ein? – Kaffee aus gerechtem Handel? Wie weit werden durch
mein Einkaufsverhalten Menschen ausgebeutet? Das ist nur ein Beispiel, an
dem sich zeigen lässt, wie sehr die mit dem Armutsgelübde verbundene Frage
nach dem Geld in den Alltag hineinreicht. Ist von Güte getragen, was ich mit
meinem Geld tue (oder von Geiz, Habgier, oder anderen Impulsen)? Ist
gerecht, wie ich an mein Geld komme, und wie ich damit umgehe? Bin ich
wahrhaftig im Umgang mit dem Geld? Und was ist mit den kleinen Betrügereien
bei der Steuer?
Auf ähnliche Weise konkret wird – ausgehend vom Keuschheitsgelübde -
die Frage nach den Beziehungen, in denen das Leben gestaltet wird. Hier
geht es dann nicht (nur) um Ehelosigkeit, sondern um die Treue in einer
Partnerschaft. Aber auch um etwas ganz anderes, nämlich um die Frage von
Abhängigkeit und Freiheit. Gewähre ich dem Partner, der Partnerin Freiraum
und Entfaltungsspielraum? Darf er oder sie sein, wie sie ist – oder
versuche ich diesen mir anvertrauten Menschen nach meinen Maßstäben
umzugestalten? Und: Bewahre ich mir selbst innerhalb meiner Beziehungen,
auch in einer großen Liebe, das Wissen: die Liebe ist zwar göttlich, aber
der geliebte Mensch ist nicht zu vergöttern. Nicht er oder sie bestimmt
mein Leben, und nicht von der Zuwendung des geliebten Menschen hängt mein
Leben im Letzten ab.
Zuletzt: Das Gehorsamsgelübde – Gehorsam ist kein sehr populärer
Begriff. Die Zeiten des „blinden Gehorsams“ ohne Widerspruch sind in der
Pädagogik heute glücklicherweise dabei. Wir setzen in der Erziehung mehr
auf Absprachen, auf Vernunft, auf Dialog. Aber es gibt nach wie vor
Situationen, in denen – zu ihrem Schutz und weil etwas gut für sie ist –
Gehorsam notwendig ist. „Lauf nicht einfach auf die Straße“ – hier ist es
eben nicht angebracht zu sagen: „Aus Erfahrung wird man klug.“
Wir brauchen manchmal wie Kinder, dass uns jemand sagt: so ist es
recht und so ist es unrecht. Jemand, der uns vor den fatalsten Fehlern
bewahrt, indem er zu uns spricht und uns klug anweist.
Gehorsam hat mit dem Hören zu tun, mit dem Hören-Können. Auf Gott
hören, seinen Gedanken für uns Menschen nachgehen, nachsinnen und sie dann
auch umsetzen. Es ist kein blinder Gehorsam, der hier gefordert wird,
sondern ein sehender, wacher Gehorsam. Auf Gott hören, das heißt, in allen
Lebenslagen zu fragen: Was ist jetzt zu tun unter den Perspektiven der
Güte, der Gerechtigkeit und der Wahrheit? So leben wir als Kinder des
Lichts.
Amen.
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